© DAV Fürth, Stephan Mertens und Bernd Hetzel

Bergsteiger- und Klettergruppe: Ostalpine „Tour der Matterhörner“

Die Tour auf den Patteriol – die Bernd im vorhergehenden fürth alpin beschrieben hat – war ein Highlight unseres Bergurlaubs 2022. Neben der komfortablen Ausgangshütte, der Konstanzer Hütte und der großartigen Linie des Nordostgrats mit seinen rund 28 Seillängen bei moderaten Schwierigkeiten, besticht der Patteriol insbesondere durch seinen beeindruckenden Anblick beim Zustieg zur Konstanzer Hütte. Nicht umsonst spricht man vom Matterhorn des Verwalls. Aber auch viele andere Gebirgsgruppen der Ostalpen wollen einen Doppelgänger vom Schweizer Original haben. So entstand die Idee – nachdem der jährliche obligatorische Westalpenurlaub dieses Jahr nicht möglich war – 2022 in die Ostalpen zu fahren und sich ein paar von diesen Doppelgängern anzuschauen. Sozusagen ein Motto-Urlaub „Matterhörner“, eben eine ostalpine „Tour der Matterhörner“.

Von den vielen möglichen Kandidaten fiel unsere Wahl, neben dem bereits beschriebenen Patteriol, auf die Zimba, dem Matterhorn des Rätikons, und den Pflerscher Tribulaun, das Matterhorn hoch über dem Pflerschtal.

Zimba (2643 m), Überschreitung Ost-/Westgrat (IV-, A0)

Um als „Matterhorn“ zu gelten, spielt neben dem Aussehen auch die Schwierigkeit eine Rolle. Manche galten früher sogar als unbezwingbar. So auch die Zimba. Dies führte so weit, dass dem Erstbesteiger Anton Neyer seine Besteigung im Jahr 1848 im Alleingang anfänglich nicht geglaubt wurde. Glücklicherweise hinterließ er am Gipfel eine Nachricht in einer Dose, die die Zweitbegeher im Jahr 1854 fanden. Aber war er wirklich der Erste? Denn kurioserweise soll Anton Neyer bei seiner Erstbesteigung in Gipfelnähe ein menschliches Skelett gefunden haben.

Für die Überschreitung der Zimba bieten sich 3 Grate an: Nordostgrat (II, leichtester Anstieg), Westgrat (II-III) und Ostgrat (IV-/A0, längster Grat). Wir entschieden uns für den Klassiker Ostgrat im Aufstieg – Westgrat im Abstieg.

Der Ostgrat bietet anregende Kletterei in häufig schönem Fels, die z. T. mit Bohrhaken gesichert ist. Aber auch schmale Grate und Steilgras-Passagen sind zu meistern. Eine Passage wird „Schneckenriss“ genannt, ein steiles Wändchen, das durch seine wellenförmige Gesteinsschichtung auffällt. Weiter oben kommen noch eine schöne Piazstelle und die Schlüsselstelle, die mit IV-/A0 bewertet ist, dazu. Wobei, wie so häufig bei alten Touren, die Bewertung sehr hart ist und man ziemlich ratlos vor der Schlüsselstelle steht: sie ist plattig und für IV- überhaupt nicht zu haben. Der vorhandene Haken sitzt für A0 zudem viel zu tief, so dass man selbst mit Hakenbenutzung gehörig Körperspannung aufbauen muss. Des Rätsels Lösung für diese eigenartige Bewertung: oberhalb des Hakens befindet sich eine kleine Rißspur, in der man tief drinnen zwei alte Hakenstümpfe in optimaler Höhe erkennen konnte, an denen man sich früher noch hochziehen konnte. Zudem haben wir später in einem Führer etwas von einer Steigbaumstelle gelesen. Wie auch immer, wir haben uns auch so über die Schlüsselstelle hochgeschwindelt und erreichten nach 12 Seillängen den Gipfel.

Auch der Westgrat ist zum Teil mit Bohrhaken gesichert, so dass man an den steilsten Passagen abseilen kann, u.a. auch die berühmte Sohmplatte. Nur die vom Gipfel kommend erste schwierige (II+) und steile Passage hatte keine Haken. Wir kletterten sie ohne Sicherung ab – nicht ohne, da ziemlich steil und abbrechend über senkrechten Wänden.

 

Pflerscher Tribulaun (3097 m), Normalweg (III)

Ein Berg mit legendärem Ruf, der den kundigen Alpinisten die Zunge schnalzen lässt! Erstbestiegen von Johann Grill, genannt Kederbacher, dem Erstbegeher der Watzmann-Ostwand. Er dominiert mit seinem hellen Kalkgestein, seiner wuchtigen und schroffen Form sowie seiner Höhe alle in der näheren Umgebung liegenden niedrigeren, dunklen und eher sanften Urgesteinsgipfel. Sogar von der Brennerautobahn kann man ihn zwischen Brixen und Gossensass manchmal sehen und ist beeindruckt. Trotzdem handelt es sich um einen Berg, der nicht überlaufen ist. Die Gründe liegen auf der Hand: kein leichter Anstieg (der Normalweg verlangt den III. Grad), bröseliger Fels, meist schuttig und geröllig sowie wenig fixes Sicherungsmaterial in der rustikalen Ausführung „alter Schlaghaken“. So verwundert es nicht, dass während unserer Zeit dort nur sehr wenige Bergsteiger am Normalweg unterwegs waren, davon 2 Führerseilschaften. Insgesamt ein Berg, den ein Alpinist gerne auf seiner Gipfelliste stehen haben möchte, bei dem man sich aber auf herzhaft-dolomitiges Ambiente einstellen muss.

 

Abgesehen von den oben genannten wenig erquicklichen Umständen am Pflerscher Tribulaun hat er jedoch auch ein paar erfreuliche Seiten, z. B. ist der Einstieg von der Hütte in rund 30 Minuten erreicht. Die ersten Meter des Normalwegs zeigen aber dann gleich den wahren Charakter des Berges: nach einer schuttigen Schlucht folgt eine ausgesetzte Querung auf einem schuttigen Bändchen mit splittrigem Fels, worauf ein ausgesetztes, schmales Grätchen mit ebenso splittrigem und schuttigem Fels folgt. Auch wenn der anschließende große Schuttkessel unproblematisch zur nächsten Steilstufe führt, weiß man von Beginn an, auf was man sich einzustellen hat. Die Steilstufe hält ein erstes Highlight der Tour bereit: ein waagrechtes, ca. 30 Meter langes Band im II. Schwierigkeitsgrad. Und man ahnt es schon, wie sich dieses dann auch präsentiert: schmal, ausgesetzt, Absturzgelände, suboptimaler Fels und bröselig. Im Abstieg haben wir hier gesichert. Danach geht es erstmal etwas entspannter weiter und man erreicht die Schulter, an der der Blick in Richtung Norden mit Geschnitztal, Habicht und Karwendel frei wird. Auch der weitere Weg zum Gipfelaufbau bietet keine besonderen Schwierigkeiten mehr und man hat Gelegenheit, um die eindrückliche, dunkle und abweisende Nordwand zu betrachten. Der Gipfelaufbau wird über abschüssige Schuttbänder und kurze Felsstufen auf wenig ausgeprägten Steigspuren in die Südwand bis zur Schlüsselstelle der Tour gequert, wohlwissend, dass unterhalb der abschüssigen Schuttbänder die Südwand senkrecht abbricht. An der Schlüsselstelle haben wir uns angeseilt und sind ab hier überwiegend von Stand zu Stand geklettert. Die Schlüsselstelle (III) ist etwas abdrängend und mit einem Stahlseil versehen. Vermeidet man das Stahlseil, liegen die Schwierigkeiten deutlich oberhalb des III. Grads. Zu unserer Überraschung folgte kurz danach ein kurzes Wandl mit relativ schöner Kletterei an Leisten – es sollte eine Ausnahme bleiben. Denn danach erwartete uns mit einer schuttigen Rinne wieder typisches Pflerscher Tribulaun-Gelände und anschließend die zweite Schlüsselpassage mit Stahlseil sowie eine ansteigende brüchige Querung zu einem letzten Stand. Das anschließende Gelände kann man wieder ohne Seil bewerkstelligen und man erreicht alsbald den Gipfel.

Die Aussicht an diesem wunderbaren Tag war tadellos. Ganz im Süden konnte man sogar den Monte Bondone beim Gardasee ausmachen.

Von der Gewissheit getrieben, abwärts nicht viel schneller als beim Aufstieg voranzukommen, traten wir bald den Abstieg an. Insbesondere im Gipfelaufbau, aber auch in den unteren Steilstufen kann dabei – an zum Teil fragwürdigen Ständen – abgeseilt werden.

Dass wir mit dem Pflerscher Tribulaun einen besonderen Berg bestiegen hatten, wurde uns spätestens klar, als wir bei der Rückankunft auf der Tribulaun Hütte von den Hüttenwirtsleuten mit Handschlag und „Berg Heil“ begrüßt wurden. Auch sie sind erleichtert, wenn alle Gipfelaspiranten wieder heil unten ankommen. In der kommenden Nacht konnten sie eine Seilschaft – tatsächlich war diese viel zu spät aufgebrochen – anhand der Stirnlampen stundenlang beim Abstieg beobachten, bis sie schließlich nach 23 Uhr die Hütte erreichte.

Epilog

Die Liste der alpinen „Matterhörner“ kann beliebig erweitert werden. Manche Gebirgsgruppen wollen sogar zwei davon haben (z. B. die Allgäuer Alpen: neben der Trettach auch der Hochvogel). Auch außerhalb der Alpen gibt es einige Kandidaten. Dem Matterhorn am ähnlichsten ist wohl der Mount Assiniboine in Kanada. Das Original steht aber weiterhin oberhalb von Zermatt, wurde aber ab Mitte des Sommers 2022 von den Zermatter Bergführern vorübergehend nicht mehr angeboten – die Verhältnisse am sogenannten Dach waren zu sehr steinschlaggefährdet.

Text: Stephan Mertens

Bilder: Stephan Mertens und Bernd Hetzel

TOURINFOS:

Pflerscher Tribulaun

Höhe: 3096 m

Lage: Stubaier Alpen

Ausgangspunkt: Am Ende der Fahrstraße des Pflerschtals beim Wanderparkplatz Hinterstein

Hütte: (Südtiroler) Tribulaunhütte (2369 m)

Schwierigkeit: Klettern bis UIAA III, häufig anspruchsvollstes „Wandergelände” (T5/T6)

Zeiten: Auf- und Abstieg: 8 Stunden

Charakter: Ein wunderbar alpiner Kletterberg für alle diejenigen, die sich jenseits von Luxusfels und Plaisirabsicherung bewegen können und möchten, mit einer Hütte abseits der großen Wandererströme. Ein erfahrener Dolomitenbergsteiger beschrieb ihn so: „Der Tribulaun ist kein Spaßbuckerl, sondern eine ernste Bergfahrt.“

Literatur: Walter Klier: „Stubaier Alpen alpin“ im Bergverlag Rother

Von der Homepage der italienischen Tribulaunhütte kann man sich Topos des Anstiegs herunterladen.

Zimba

Höhe: 2643 m

Lage: Rätikon

Ausgangspunkt: Brand im Brandner Tal

Hütte: Sarotla Hütte (1611 m)

Schwierigkeit: Klettern bis UIAA IV-/A0

Zeiten: Auf- und Abstieg: 8 Stunden

Charakter: Schöne Überschreitung des markantesten Horns im Rätikon, dessen Grate neben der Kletterei im ausgezeichneten Rätikonkalk auch alpines Gelände bieten: Gehgelände, nicht ganz so fester Fels, Steilgras, schmale Gratabschnitte.

Literatur: 

Axel Jentzsch-Rabl, Andreas Jentzsch: „Klettern im leichten Fels“ im Alpinverlag Jentzsch-Rabl

Johanna Widmaier: „Best of Genuss – alpine Genussklettereien von 3 bis 7“ im Panico-Verlag

Michael Pause: „Im leichten Fels“ im BLV Verlag